Impulsgeber und Schrittmacher der Branche

Am 22. Mai 2014 feierte das Maschinenbauunternehmen AERZEN 150-jähriges Jubiläum seiner Firmengründung. Von der Gießerei zur weltweit erfolgreichen Unternehmensgruppe – Aerzen hat in den 150 Jahren seiner Existenz viele Höhen und Tiefen durchlebt. Wer diesen Lauf nach verfolgt, erlebt ein gutes Stück deutscher Industriegeschichte aus der Perspektive eines Mittelstandsunternehmens, das viel von seinen Traditionen über die Zeiten retten konnte (Bilder 2 und 3). Und dabei immer wieder seine Fähigkeit zur Veränderung unter Beweis gestellt hat.

Wie wird man ein Marktführer und Technologie-Primus in seiner Branche? Unternehmenschef Klaus-Hasso Heller, der das Familienunternehmen AERZEN in vierter Generation führt, hat dazu eine klare Position: „Kompetenz und Erfahrung sind es nie alleine, es ist immer auch eine gehörige Portion Glück dabei. Was unsere Geschichte von anderen unterscheidet, ist die Tatsache, dass wir auch in existentiellen Krisen immer wieder die Chancen gesehen und genutzt haben, uns neu zu orientieren.“ 2010 wurde die Aerzener Maschinenfabrik erstmals ins „Lexikon der Weltmarktführer“ aufgenommen – vorläufiger Höhepunkt einer Unternehmens-Karriere, die so sicher nicht beabsichtigt, andererseits aber auch kein Zufall war. Es gab frühe Affinitäten zum Medium Luft. Mitte des 19. Jahrhunderts: Kokereien, Eisengießereien und Schmieden benötigten komprimierte Luft in riesigen, industriellen Volumina, die von den damals gebräuchlichen Blasebälgen längst nicht mehr bewältigt werden konnten.

Die ersten Drehkolbenmaschinen zur Komprimierung von Gasen stammen folgerichtig von einem Engländer: Francis Marion Roots. Er entwickelte das nach ihm benannte technische Prinzip und baute die ersten Drehkolbenmaschinen. Erster Produzent dieser Maschinen auf dem Kontinent: die Aerzener Maschinenfabrik, die ihre Variante eines Roots-Gebläses 1869 auf den Markt brachte. Schnell erweiterten sich die Einsatzfelder für die neuen Gaskompressoren: Chemiefabriken, Schiffswerften, Eisenbahnfabriken und Unternehmen aus anderen aufstrebenden Industriebranchen orderten die neuen Maschinen in Massen. Erst vier Jahre zuvor hatte der jüdische Kaufmann und Bankierssohn Wilhelm Meyer seine neu gegründete Gießerei und Maschinenfabrik in Produktion gehen lassen. Knapp 50 Mitarbeiter stellten her, was das regionale Umfeld benötigte: Eggen, Heuwender und andere landwirtschaftlichen Geräte, aber auch Grabkreuze und Trinkbrunnen aus Gußeisen. In den 1880er Jahren profitierte AERZEN vom rasanten industriellen Aufstieg des jungen Kaiserreichs, 1897 wird das 5000. Drehgebläse (Bild 4) fertig gestellt und nach Berlin verschickt. 1909 lässt sich AERZEN seine Schalldämpfer für Gebläse patentieren, die Lautstärke der Maschinen sinkt drastisch.

Den entscheidenden Schritt auf dem Weg zum Spezialhersteller für Drehkolbenmaschinen vollzog das Unternehmen aber erst 1930 – nach einer wegweisenden Entscheidung des legendären Unternehmenslenkers und Ingenieurs Herman Allstaedt. Er suchte und fand die Spezialisierungsstrategie als Weg seines Unternehmens aus der Weltwirtschaftskrise. Die Bereitschaft von Hermann Allstaedt, auf besondere Kundenwünsche einzugehen, zeigen die Erfindung der Lauf- oder Leiträder für Turbomaschinen 1910 und der Einstieg in die Produktion von Turbogebläsen im Jahre 1911 (Bild 5). Das wachsende Ferngasgeschäft eröffnete der Aerzener Maschinenfabrik 1930 einen großen Markt im Bereich der industriellen Gasmessung. Schnell zeigte sich, dass die Geschäftsführung mit den Drehkolbengaszählern, deren Funktionsprinzip aus der Gebläsetechnik abgeleitet wurde, auf die richtige Karte gesetzt hatte. Großkunden wie die Ruhrgas AG oder die Friedrich Krupp AG sicherten den Absatz und bildeten zugleich die Basis für die anwenderorientierte Entwicklung neuer Maschinen zur Kompression von Gasen – bis heute eine der Säulen für den Erfolg des Unternehmens (Bild 6).

Mitten im Krieg übernimmt Allstaedts Schwiegersohn Karlheinrich Heller die Geschäftsführung des Unternehmens und startet die Entwicklung der ersten Schraubenverdichter. Ihr Erfolg auf den boomenden europäischen Nachkriegsmärkten ließ nicht lange auf sich warten. Das Werk wird weiter ausgebaut und durch ein Zweitwerk in Hameln ergänzt. 1960 stirbt überraschend Karlheinz Heller, kurz zuvor hatte AERZEN das 100 000. Drehkolbengebläse ausgeliefert (Bild 7). Über 600 Mitarbeiter beschäftigt das Unternehmen zu dieser Zeit. 1965 übernimmt Hasso Heller die Leitung des Unternehmens und beginnt, es zu einem Global Player auszubauen. In rascher Folge errichtet er Niederlassungen in Frankreich, England, USA und Südafrika. Zugleich wird der Standort Aerzen weiter modernisiert, die Produktpalette durch viele Innovationen verstärkt. 1978 bringt AERZEN das größte Drehkolbengebläse der Welt auf den Markt. Es wird in der Stahlindustrie eingesetzt und hat einen Kolbendurchmesser von 1,5 m.

Mit den neuen Baureihen Delta Screw und Delta Blower (Bild 8) gewinnt AERZEN ab 1990 neue Kundenkreise in aller Welt. Jetzt arbeiten knapp 1000 Mitarbeiter für AERZEN. „Qualität war schon immer ein zentraler Erfolgsfaktor für uns“, erklärt Klaus-Hasso Heller, der 2000 die Geschäftsführung von seinem Vater übernommen hatte. „Besser gesagt, es ist unsere Fähigkeit, Qualität immer neu zu definieren.“

Als eines der ersten deutschen Unternehmen überhaupt hatte die Aerzener Maschinenfabrik 1990 das DIN EN ISO 9001-Zertifikat erhalten und zeigte damit seinen Kunden, dass hohe Qualitätsstandards zu den erklärten Managementzielen gehörten. „Das haben wir weitergetrieben“, ergänzt Co-Geschäftsführer Björn Irtel: „Maschinenverfügbarkeit und Effizienz, quer durch das gesamte Maschinenleben und im Prozess des Kunden – das ist unsere aktuelle Definition von Qualität.“ Mit Blick auf Verfügbarkeit als zentralem Baustein der Maschinenqualität wurde auch der After Sales Service konsequent – und in weltweitem Maßstab – ausgebaut und auf proaktives Handeln eingeschworen. Eine weltweit agierende Servicemannschaft aus über 100 Mitarbeitern betreut die Kunden vor Ort und erfüllt die Verpflichtungen aus einem ganzen Bündel an neuartigen, vertraglich fixierbaren Servicepaketen.

Klaus-Hasso Heller und sein Team gingen noch weiter. Die Produktpalette wurde gestrafft, die Internationalität auf heute über 40 Tochtergesellschaften ausgebaut und eine Generation neuer, besonders energieeffizienter Maschinen entwickelt. Mit dem Delta Hybrid stellte AERZEN 2010 die weltweit erste Baureihe von Drehkolbenverdichtern vor, die bis zu 15 % weniger Energie verbrauchen als herkömmliche Kompressoren. Die erste Fertigungsstätte für Hauptkomponenten im Ausland errichtete die Aerzener Maschinenfabrik 2011 mit der Tochtergesellschaft Aerzen Turbo in Südkorea. Vorausgegangen war eine Kooperation mit einer südkoreanischen Hightech-Firma. Die energieeffiziente Technologie der luftgelagerten Turbogebläse wurde daraufhin weiterentwickelt und die neue Baureihe AT Turbo Generation 5 in den Markt erfolgreich eingeführt.

2011 holte Klaus-Hasso Heller den Wirtschaftsingenieur Bernd Wöhlken und den Ingenieur Björn Irtel in die Firmenleitung. Gemeinsam entwickelten sie eine ambitionierte „Vision 2020“, mit der sich das Unternehmen unter die drei weltweit führenden Anwendungsspezialisten seiner Branche platzieren will. Passend dazu und rechtzeitig vor den Feierlichkeiten zum 150. Jubiläum (Bild 9) kam auch eine wichtige strategische Restrukturierungsmaßnahme zum Abschluss: Die Gründung der Unternehmensmarke AERZEN (Bild 10). Damit trennte man sich von teils gewohnten, vielfach liebgewonnenen Bezeichnungen wie „Aerzener Maschinenfabrik“ oder – volkstümlicher – einfach: „Aerzener“.

Künftig steht beim stahlblau-eleganten Formenlogo (das ebenfalls überarbeitet und modernisiert wurde) schlicht und einfach der neue international eingesetzte Markenname: AERZEN. Die mit der neuen Unternehmensmarke verbundene Firmenphilosophie klingt selbstbewusst und weist den Weg in eine globale Zukunft (Bild 11): „Wir wollen der ultimative Lösungsanbieter in den Schlüsselanwendungen unserer Kunden sein. Mit überlegenem Engineering und wegweisender Maschinenqualität. Mit dem größten Erfahrungsschatz der Branche, dem kundenfreundlichsten Service weltweit sowie dem führenden Innovationspotenzial im Hinblick auf den künftigen Erfolgsfaktor – Energieeffizienz.“ Lange und intensiv hat das AERZEN Marketing nach einem Slogan gesucht, der die Unternehmensleitlinie kurz und bündig auf den Punkt bringen sollte. Verblüffend einfach und schlagkräftig die neue Losung, die AERZEN bewusst in der Weltsprache Englisch klar zum Ausdruck bringt: Expect Performance.

Was ist das Erfolgsgeheimnis von 150 Jahren AERZEN? „Es ist wohl ein ganz spezieller Mix aus Erfindergeist, gepaart mit den Tugenden und der Unabhängigkeit, wie sie nur ein familiengeführtes Unternehmen aufweisen kann. Und worauf ich besonders stolz bin: Wir haben extrem kompetente und treue Kolleginnen und Kollegen, die hier gemeinsam eine Atmosphäre hinbekommen, in der sich einfach toll leben und arbeiten lässt!“, so Firmenchef Heller.

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