Hagedorn setzt Maßstab im Rückbau

Ende März dieses Jahres sollten die beiden rund 24 000 Tonnen schweren Kesselhäuser eines der größten Steinkohlekraftwerke Europas an der Süderelbe in Hamburg durch eine Sprengung zu Fall gebracht werden. Die Fallrichtungssprengung mit Kipprichtung nach Westen war zuvor wochenlang intensiv vorbereitet worden. Wie bereits bei der Sprengung der Kamine im November 2024 kam auch hier das bewährte Verfahren der Wasservollraumsprengung zum Einsatz. Dafür wurden die Stützen der Kesselhäuser mit Wasser befüllt und jeweils mit Ladungen bestückt. Doch zunächst ging eines der beiden baugleichen Kesselhäuser aufgrund einer Fehlsprengung nicht zu Boden. Die Folge: Ein Rückbau-Ersatzkonzept war nötig, das die Hagedorn Unternehmensgruppe gemeinsam mit den zuständigen Behörden und dem Auftraggeber entwickelte und mit Unterstützung von Zeppelin in Rekordtempo umsetzte.

Am Standort Moorburg stemmt die Unternehmensgruppe Hagedorn seit 2023 ihr fünftes Kraftwerksprojekt
© Hagedorn

Am Standort Moorburg stemmt die Unternehmensgruppe Hagedorn seit 2023 ihr fünftes Kraftwerksprojekt
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Um maximale Sicherheit für das Team zu gewährleisten, entschied sich die Hagedorn Unternehmensgruppe für den erstmaligen Einsatz der Fernsteuerung Cat Command im Gebäuderückbau – ein Novum in Deutschland. In enger Zusammenarbeit mit Zeppelin und dank der Unterstützung von Gebietsverkaufsleiter Markus Knippschild, der die Firmengruppe betreut, und Senior-Produktmanager Simon Husemann wurde das System in Rekordzeit beschafft, installiert und betriebsbereit gemacht. Gemeinsam mit dem Cat Kettenbagger 395 bildete die fernsteuerbare Technik die Grundlage für das Ersatzkonzept: Durch die gezielte mechanische Schwächung des Bauwerks wurden die Voraussetzungen für eine erfolgreiche zweite Sprengung geschaffen.

Der vollständige Rückbau des Kraftwerks ist die Grundlage für das geplante Folgeprojekt der Hamburger Energiewerke und Luxcara: Im Rahmen des Hamburg Green Hydrogen Hub soll noch 2025 mit dem Bau einer 100-Megawatt-Elektrolyseanlage begonnen werden – ein weiterer Schritt auf dem Weg zur nachhaltigen Energieversorgung.

Mithilfe eines Hammers mit Flachmeißel am Cat 395 und Cat Command wurden unter anderem Schrauben, welche die Stahlstützen zusammenhielten, abgeschlagen
© Hagedorn

Mithilfe eines Hammers mit Flachmeißel am Cat 395 und Cat Command wurden unter anderem Schrauben, welche die Stahlstützen zusammenhielten, abgeschlagen
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Oberstes Ziel des Ersatzkonzeptes war es, kein Personal in die Gefahrenzone zu bringen und das zweite Kesselhaus kontrolliert zu Boden zu bringen. Denn durch die erste Sprengung hatte sich die Ursprungsstatik verschoben. „Das bedeutet, dass sich die Kräfte auf ganz unterschiedliche Bauteile verteilten, die vorher kaum Lasten tragen mussten“, erklärt Jens Hofmann, Leiter der Sparte Abbruch bei der Hagedorn Unternehmensgruppe. Um das zweite Kesselhaus wurde ein Sicherheitsradius von 200 m gelegt, der nicht betreten werden durfte. Aus dieser Distanz heraus wurde dann der Cat 395 mit einer mobilen und tragbaren Steuerkonsole bewegt.

Geplant war, das angesprengte Kesselhaus durch eine Kombination aus einer weiteren Sprengung und gezielten vorausgehenden Vorschwächungen von tragenden Stahlstützen nach vorne kippen zu lassen und somit zu Fall zu bringen. Mithilfe eines Hammers mit Flachmeißel an der Baumaschine wurden dann unter anderem Schrauben, welche die Stahlstützen zusammenhielten, abgeschlagen. „Hier war absolute Präzision gefragt, den Meißel mit der Fernsteuerung zu platzieren, denn die Schrauben hatten einen Durchmesser von gerade einmal fünf Zentimetern“, so Jens Hofmann. Des Weiteren wurde mit dem Meißel im unteren Drittel der Stützen angesetzt, um die Träger aus den vorhandenen Burgzinnenschnitten herauszulösen. Sobald ein Träger aus dem Schnitt befreit war, konnte der Bagger ihn nahezu mühelos nach hinten biegen.

Cat Command in Form einer tragbaren Steuerkonsole im Rückbau zu nutzen, war der erste Einsatz hierzulande
© Hagedorn

Cat Command in Form einer tragbaren Steuerkonsole im Rückbau zu nutzen, war der erste Einsatz hierzulande
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Eingaben des Maschinisten wurden an der Steuerkonsole über einen speziellen Funksender direkt an die Maschinenelektronik des hundert Tonnen schweren Cat 395 übermittelt. Die Fernsteuerung auf Basis der Konsole ist vollständig in die elektronischen und hydraulischen Systeme des Baggers integriert, um eine schnelle Reaktion und reibungslose Bedienung zu gewährleisten. Die Betriebsbefehle werden über Funk direkt an die Elektronik der Maschine gesendet, was zu einer Echtzeit-Steuerung führt, sodass der Bagger genau die Funktionen und Steuerbefehle ausführt, die ihm sein Bediener vorgibt, während er dabei stets in Sichtkontakt bleibt und so die Maschinenbewegung kontrolliert. Die mobile Cat Command Konsole ermöglicht dem Bediener ein sicheres Steuern aller Maschinenfunktionen abseits der Maschine, ohne dass eine Kommunikationsinfrastruktur vor Ort aufgebaut werden muss. Damit eignet sich dieses System für kurzfristige Einsätze in potenziell gefährlichen Arbeitsbereichen. Zur weiteren Absicherung war der Bagger mit dem von Hagedorn entwickelten Ventilsystem Oilfix ausgestattet, um im Fall eines Schadens an den Hydraulikleitungen den Austritt von Öl sofort abzustellen und einen Umweltschaden abzuwenden.

Doch wie kann ein Maschinist sehen, wo exakt er das Arbeitsgerät aus der Distanz von 200 Metern platzieren muss, um die Schrauben an den Stützen zu trennen? Die Lösung waren zusätzliche Kameras in Form von GoPros, die am Baggerarm angebracht wurden. Diese übertrugen mittels DJI-Übertragungsmodulen Live-Bilder auf zwei Standard-Monitore, um die Fahrtrichtung des Baggers besser kontrollieren zu können. Hinzu kam eine Drohne: Eine DJI Air3s begleitete den Einsatz permanent zusätzlich. Drohnenpilot und Maschinist befanden sich während des Einsatzes auf einer Höhe von etwa 35 m in einer Arbeitsbühne, um so beste Sicht auf den Einsatzbereich zu haben. Normalerweise umkreist der Abbruchspezialist Hagedorn mit einer Drohne ein Gebäude, um regelmäßig genaue Daten über die Kubatur, das Volumen und den Abbruchfortschritt zu erfassen. Diesmal hatte sie die Aufgabe, den Bediener von Cat Command visuell zu unterstützen.

Die mobile Cat Command Konsole ermöglicht dem Bediener ein sicheres Steuern aller Maschinenfunktionen abseits der Maschine
© Hagedorn

Die mobile Cat Command Konsole ermöglicht dem Bediener ein sicheres Steuern aller Maschinenfunktionen abseits der Maschine
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Die Air3s besitzt derzeit das weitreichendste Funksystem unter den kompakten Modellen und hat ein vergleichsweise hohes Eigengewicht – eine wichtige Eigenschaft für eine stabile Fluglage bei Wind. Außerdem schafft sie eine Flugzeit von 40 Minuten pro Akkuladung – drei Akkus wurden vorgehalten, um kontinuierlich flugbereit zu sein. Dank Gimbal verfügt die Drohne über eine Weitwinkelkamera für die Übersicht und eine Telekamera für Detailbilder, die in diesem Fall zwingend erforderlich war. Gesteuert wurde sie mit der regulären DJI-Fernbedienung, an die in diesem Fall ein iPad angeschlossen wurde, um eine möglichst große Bilddarstellung zu erhalten. Der Großteil der Steuerung und die Koordination erfolgte über das Live-Bild der Drohne, während die Monitore der GoPros am Baggerarm nur selten zurate gezogen wurden.

Um das Risiko so gering wie möglich zu halten, standen Drohnenpilot und Maschinist im ständigen Funkkontakt mit der Bodenstation. Diese lieferte Live-Informationen zu Bewegungen oder Veränderungen am Gebäude. Zusätzlich wurde eine Echtzeit-Laser- und Radarmessung auf dem Dach des Maschinenhauses installiert, sodass nach jeder bearbeiteten Stütze ein Abgleich per Funk erfolgte. „Bei jedem weiteren Arbeitsschritt an den Stützen und Streben kreiste die Frage darum, hat sich das Gebäude bewegt oder nicht. Die Lage verändert sich beim Abbruch permanent und darauf muss sich der Maschinist einstellen“, verdeutlicht Jens Hofmann die Besonderheit des Gewerkes Abbruch. Darum war das Monitoring zur Überwachung entscheidend. „Parallel dazu kommt die akustische Schiene. Ein Bauwerk, das in Bewegung ist und unter extremer Spannung steht, macht auch Geräusche. Auch auf diese haben wir geachtet und sofort, wenn nötig, reagiert. Die permanente Auswertung aller Monitoring-Ergebnisse ermöglichte es, den Bagger rechtzeitig kontrolliert zurückzuziehen und das Gebäude durch eine gezielte letzte Sprengung zum geplanten Einsturz zu bringen“, erklärt der Leiter der Sparte Abbruch.

Am Standort Moorburg stemmt die Unternehmensgruppe seit 2023 ihr fünftes Kraftwerksprojekt. Beteiligt ist hier nicht nur das Hagedorn-Abbruchteam, sondern ebenso der Tiefbau und Schüttflix. Gemeinsam demontieren und entsorgen sie das Bauwerk. Dabei haben sie den Ersteinsatz von Cat Command im massiven Gebäuderückbau mit einer Steuerkonsole erfolgreich absolviert und wertvolle Erfahrungen für die Zukunft gesammelt. Denn die Technologie ist praxiserprobt und wesentlicher Teil eines Konzeptes, das der Risikominimierung und -beherrschung bei zukünftigen Projekten dient. „Einen großen Anteil daran hat auch Zeppelin. Die Mitarbeiter waren lösungsorientiert, haben sich richtig ins Zeug gelegt, waren für die Installation vor Ort und haben kurzfristig alle Hebel in Bewegung gesetzt – damit wir unser Konzept schnellstmöglich umsetzen konnten“, lobt Jens Hofmann die Zusammenarbeit, die für ihn entscheidend zum Gelingen beitrug.

Am Donnerstag vor dem bauma-Messestart Anfang April erhielt die Zeppelin Niederlassung Hamm einen Anruf: „Könnt ihr kurzfristig eine Fernsteuerung liefern?“ Gesagt, getan. Die Bestellung ging raus. Der Zeppelin Service von Hamm machte das scheinbar Unmögliche möglich und leitete umgehend entsprechende Vorbereitungen für den Einbau am Cat 395 in die Wege, der sich in Hamburg auf der Abbruchbaustelle befand. So wurden bereits in der Werkstatt vorab entsprechende Baugruppen zusammengebaut, die dann an der Baumaschine nur noch montiert werden mussten. Somit war das System am Montag drauf betriebsbereit. Parallel dazu ging es mit drei Maschinisten von Hagedorn nach dem Wochenende in die Niederlande. Dort sollten sie die Fernsteuerung an einem Cat Kettenbagger 323 ausprobieren und mit ihr für den Ernstfall auf der Baustelle trainieren. „Bereits nach 30 Minuten hat man ein Gefühl dafür und weiß, wie man damit sicher umgehen muss. Allerdings ist es schon was anderes, wenn man selbst in der Kabine sitzt und die Bewegung sowie Reaktion des Baggers direkt spürt“, so die Reaktionen der Maschinisten. Doch es macht keinen Unterschied, was das Ansprechverhalten betrifft, ob die Eingaben per Funk direkt an die Maschinenelektronik übermittelt werden oder von der Kabine aus. Die Bedienelemente bieten dieselbe Reaktionszeit, was für eine präzise Kontrolle sorgt. Ein anderer Punkt ist jedoch die Übersetzung der 2D- auf die 3D-Perspektive. „Die Transferleistung gelingt nicht jedem Maschinisten auf Anhieb – hier kommt es auf räumliches Denkvermögen und Erfahrung an, was eigentlich bei jeder Fernsteuerung nötig ist. Dafür lässt sich damit das Risiko für Arbeiten, die in einem Gefahrenbereich erfolgen, massiv reduzieren“, ist Jens Hofmann überzeugt. Daher macht für ihn ein Einsatz von Cat Command auch in Bereichen Sinn, die über den Gebäuderückbau hinausgehen. Möglich sind Katastrophengebiete, wie nach der Flutkatastrophe im Ahrtal oder nach dem Bergsturz in der Schweiz. Damit lassen sich dann einsturzgefährdete Brücken oder Häuser ohne Sicherheitsrisiko für Maschinisten beseitigen. „Der Einsatz in Hamburg zeigt, wie unser Team unvorhergesehene Herausforderungen mit technischer Innovationskraft und sicherem Krisenmanagement bewältigt. Das entwickelte Konzept hat sich nicht nur bewährt, sondern dient künftig als erprobte Lösung für vergleichbare Extremsituationen im Rückbau“, bewertet Jens Hofmann das Potenzial der Technologie.

zeppelin-cat.de

zeppelin.com

www.unternehmensgruppe-hagedorn.de

www.schuettflix.com

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